Ausstellungsansicht »The Humming Cloud« REITER | Leipzig

Claus Georg Stabe The Humming Cloud

Leipzig 13.01.–29.03.2018

Ausstellungsansicht »The Humming Cloud« R E I T E R | Leipzig
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Claus Georg Stabe hat in seinen Zeichnungen die Linie radikal reduziert zur konsequenten Zeilengrafik – und er hat sie zugleich enorm erweitert, neu aufgefasst, zu Flächen summiert und ins Malerische transformiert - mit erstaunlichen Befunden.

Stoff, Inspiration und Quelle für die Titel der Arbeiten ist der Voice Track Universal Solar Calendar von Angus MacLise, einer der Found-Sounds aus den sechziger Jahren, erschienen posthum 2003 auf The Cloud Doctrine. Der rezitierte Kalender, 20 Minuten, zwischen Beatnik-Poesie und Trance-Freakout, nennt zu jedem Tag eine Botschaft, einen Namen, ein Sprachbild: »Sun Quarter Pass« . »The Humming Cloud« . »Day of Arcane Light« . »Plains of Paradise« usw.
MacLises voice performance findet in ihrer monotonen Sprechlinie eine kongeniale Übertragung in Stabes Linienprosa. So gerinnt das mystisch gleichförmige Rezitat zum polyphonen Linienrauschen, aus dem sich der Bildgehalt erhebt, mal sanft und leise, mit minimal angedeutetem Profil, dann wieder laut und intensiv farbig in hart konturierter Formsprache.

In Stabes Atelier entstehen die Werke an einem selbstentwickelten Zeichenbrett mit variablen Führungsschienen und Wellenschablonen, das er bis zu Seitenmaßen von über 200 cm erweitern kann.
Die schlichte Kugelschreiber-Linie ist das Morphem seines Bildaufbaus - und sein einziges. Sie abstrahiert die Schreibbewegung im fortgesetzten v.l.n.r. und impliziert einen unendlichen Verlauf; handschriftlich Zeile für Zeile - eine never ending story in immer neuen Kapiteln.
Mit minimalen Variationen oder rhythmisch gleichförmigen Bewegungen kann Stabe seinen Linienschwärmen immer neue Themen und Stimmungen einhauchen. Er durchkreuzt sie stellenweise mit vertikal verlaufenden Linienbündeln, staucht sie zu Wellenbewegungen und lässt sie ausfransen und neu ansetzen. Er verdichtet die Linien durch geringste Abstände, betont und verstärkt sie durch erhöhten Druck auf das Papier und modifiziert sie durch Farbwechsel oder belüftet sie mit größeren Abständen zu einem durchlässigen Gewebe. Plastische Wirkung entsteht oder unruhiges Flirren schwingt durch die Blätter.

Stabe kann so auch Gegenständliches formulieren. Seine Motive fragen nach Verbindungen und Bezügen. Identität und Kultur, verbildlicht in Wappen, Flaggen, Geldscheinen, Hoheitssymbolen und Expeditionsdokumenten, heben sich skizzenhaft oder reliefartig aus dem Liniengeflecht. Indem Stabe diese Motive in Zeilen zerlegt, werden sie fraglich als Orientierung, widersprüchlich in der Zuschreibung und unverbindlich - aber auch beweglich.

Stabes Zeilentechnik entstand nicht als reines Linien-Experiment am Reißbrett. Es ist die Auseinandersetzung mit verschiedenen grafischen Techniken und auch der Versuch, den Entstehungsprozess als eigenen Ausdruck im Werk zu behaupten.
Die formale Affinität zu Kupferstich-Schraffuren ist dabei evident. Auf einen anderen Zusammenhang weist die Spur der über das Blatt schwingenden Hand, die eine meditative, fast kontemplative Verfassung auf das Werk überträgt. So verdichtet sich die Pendelbewegung als gespeichertes Konzentrat ähnlich kinetischer Kunst auf dem Medium.
Minimalistisch in der schematischen Klarheit erinnert die Grundstruktur der seriellen Wiederholung im Ansatz an das Werk von Agnes Bernice Martin. Bei ihr verweben sich horizontale und vertikale Linien und dehnen den Bildraum, ohne Fülle oder Leere zu affizieren, zur absoluten Abstraktion. Stabe geht von diesem Ansatz aus einen neuen Weg und verleiht dem Linienwerk auch sein Temperament – und oft konkreten Gehalt. Dabei findet sich kein eigener, geschlossener Themenkomplex, an dem Stabe sich abarbeitet. Die den Bildgehalt konstituierenden Motive setzen immer wieder neu an und vermeiden Leitmotivik oder Genretreue. Einige Werke zitieren Stabes Affinität zum Werk des schwedischen Malers Dick Bengtsson, der ähnlich Stabe Trash-Motive einer Wandlung unterwirft und Klischees in der maltechnischen Wiedergabe filtert.
Am nächsten kommt Stabes Verfahren dem Ansatz des Divisionismus. Die visuelle Wirkung monochromer Farbflächen, durch Mischung verschiedenfarbiger Striche, erzeugt und angelehnt an den Pointilismus und dessen Formsprache, arbeitet intensiv mit Farb- und Wahrnehmungstheorie. Die in Liniensegmente zerschnittene Oberfläche bricht das Licht, reflektiert oder absorbiert es. Lichtbewegung, Wasserspiegelungen und Schattenwürfe in Stabes Werken sind von außerordentlicher Intensität. Stabe hat dieses Verfahren von abstrakt bis impressionistisch ausdifferenziert und beherrscht es von asketisch ausgeglichen im Bildverlauf bis zum lauten Staccato von Farbe, Flächen und Leerstellen .

Das größte Potenzial haben Stabes Zeilengrafiken im Spiel mit der visualisierten Materialität. Der Betrachter sieht die gewebte Optik feinster Brokatstoffe wie die groben Leinens, so in »Rose Over the Cities«, er sieht technische, scheinbar elektronisch erzeugte Verzerrungen und Interferenzen wie in »Gesture to the Declining Sun«. Er betrachtet alte Drucke auf handgeschöpften Papieren, so bei »The Long Dim Under« oder fotografische Fehldrucke bzw. Glitches wie in »Flag III« und schließlich sogar Fotografien von Materialisationsphänomenen und Teleplastie, etwa bei »Day of Mourning« und »Establishment of the Dreamweapon II«.

Die Werkserie »The Humming Cloud« entwickelt ein optisches Rauschen, ein, Klang-Cluster aus harten, weichen, leisen und kräftigen Harmonien und Dissonanzen und eine rhythmische Beweglichkeit, die einzigartig ist und kenntnisreich Farbtheorie, Perspektive, Architektur, Kinetik und Geometrie einzusetzen weiß.